Mensur-Tag.

Die Mensur ist kein Anlaß für kollektive Rechtfertigungen, Erklärungen und Rationalisierungen.

Hier geht es primär um individuelles Erleben und Bestehen einer selbstauferlegten Extremsituation: Im Moment des Anhiebs ist alles andere vergessen. Die subjektive Wahrnehmung von Zeit klickt schlagartig auf Dali’s „Schmelzende Zifferblätter“ um. Die Welt kontraktiert um den rotierenden Korb des Gegenpaukanten, um das rasende Zusammenprasseln von Klingen und Stulpen. In diesem Moment gibt es für den Fechter kein „für die Verbindung“ mehr. Jede Mensur, die in Deutschland, Österreich, und der Schweiz gefochten wird, repräsentiert eine alleinstehende tiefe persönliche Erfahrung, die für jeden aktiv Beteiligten eine andere, individuelle Bedeutung hat… die jedem eine neue Dimension seiner eigenen Persönlichkeit entdecken läßt.

Man hört immer wieder, dass Außenseiter die Mensur als antiquierte, nicht zeitgemäße, elitäre „Mutprobe“ abwerten. Doch der Kern einer Mutprobe ist, daß man natürliche oder soziale Hemmungen kurzfristig überwindet und sich einer mehr oder weniger kontrollierbaren Kraft übergibt (sei’s auch bloß der Schwerkraft am Ende eines Gummiseils).

Die Mensur jedoch ist Dauerbelastung mit kalkuliertem, bewußt begrenzten Risiko – ein innerer Belagerungszustand aus dem sich der Beteiligte nur durch intensivste Anstrengungen von Geist und Körper herausarbeiten kann und muß.

Die einzige Emotion die dem Fechter im Moment der Konfrontation bewußt wird ist die Furcht. Furcht vor der Klinge des kaum als Individuum wahrgenommenen Gegenpaukanten. Furcht vor der möglichen Verletzung. Aber ganz besonders Furcht vor Gesichtsverlust – im wörtlichen und übertragenen Sinn. Befragungen von ganz normalen Menschen haben ergeben, daß für viele die Angst vor dem öffentlichen Reden die Angst vorm Sterben noch überflügelt. Die Mensur verschärft die Ausgangssituation dieser Angst noch um ein paar Grade:
Der Paukant steht im Zentrum einer Menge, mit fünfzig, hundert Paaren von kritischen Augen, die auf Einen (und Einen allein) gerichtet sind. Diese Menge von Augen sieht jede Bewegung, jedes Zucken, jede Klingenaktion, weiß diese zu werten und bewerten. Und jedem Fehler, den man macht, folgt mit fast mathematischer Notwendigkeit eine unumgehbare Konsequenz: auf Technikfehler folgen Schmisse. Auf Fehler in Haltung und Moral folgt die moralische Abfuhr.

Der Endzweck der Mensur liegt nicht in der Überwindung des Gegenpaukanten. Nicht einmal im Beweis, daß einer über mehr Fechttalent, mehr Kraft, bessere Nerven, oder mehr Ausdauer verfügt als der andere (wie es in einem sportlichen Wettkampf der Fall wäre). Denn es gibt bei der Mensur weder Gewinner noch Verlierer, keine Sieger und keine Besiegten.

Der Sinn der Mensur liegt in der Überwindung des vegetativen Ichs, der Überwindung der Furcht durch die Selbstkontrolle und das bewußte Durchhalten des wachen Geistes.

Im Kern ist die Mensur ein relativierendes Extrem-Erlebnis: Jede Partie packt so viel Streß, Druck und am Ende katharstische Erleichterung, daß viele der „anderen“ Hochstreßsituationen des Lebens – Prüfungen, Examen, Präsentationen, Verhandlungen – stark an subjektiver und realer Bedrohlichkeit einbüßen. Die erworbene Fähigkeit zum Relativieren von Streßsituationen und die daraus resultierende Aufwertung des Selbstwertgefühls wird von Außenstehenden oft gern als „Arroganz“ aufgefaßt. Sie hat das populistische Bild vom Waffenstudenten als „elitär“, versnobt, und überheblich gepräg. Das mag in dieser Hinsicht auch schon seine Richtigkeit haben. Denn es ist historisch das Privileg des Freien, des selbst-bewußten Individuums gewesen, sein Schicksal aus eigener Kraft gestalten zu können, Risiken einzugehen, sich unbeliebt zu machen. Es ist eben diese persönlichkeitserweiternde Einstellung, die dem Einzelnen als Treibkraft im späteren Berufsleben zu überdurchschnittlichen Erfolg verhelfen kann. Denn die Mensur räumt mit Selbsttäuschung auf. Sie reduziert den Paukanten auf seine primäre Persönlichkeit, deckt seine ureigenen Schwächen und Ängste auf. Doch sie gibt ihm gleichzeitig die freie Wahl und die Mittel, sich diesen zu stellen und gegen sie zu bestehen und diese grundlegende Erfahrung des Bestehens aus eigener Kraft im weiteren Leben anzuwenden.

nach Christoph Amberger

"die kleine studentische Fechtfiebel" von Wbr. Geilke